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Am Kälberstrick

konkret 06/95, S. 21

Arbeit im Großraum: Deutsche Politiker bereiten die Gründung eines „Europäischen Zentrums“ für grenzüberschreitende Minderheitenarbeit (EZM) vor. Die beim Bonner Innenministerium angesiedelte Staatsholding plant Interventionen z.B. „in den Minderheitengebieten Osteuropas“, „in Südtirol/Italien, Ostbelgien, Österreich“ (Die Redaktion).

Referatsleiter Rolf Goßmann in Abteilung Vt III 5 des Bonner Innenministeriums („Vertriebene, Aussiedler, Ostdeutsche Kulturarbeit“) bat Ende Februar um vertrauliche Behandlung der abschließenden Planungsschritte für ein sorgsam vorbereitetes Unternehmen. Nach mehrjährigen Konsultationen, die im Rausch der deutschen Vereinigung begonnen hatten, legte Goßmann ein „Anforderungsprofil für den Standort des geplanten EZM“ vor. Im März war das „Europäische Zentrum für Minderheitenfragen“ bereits bis zur ministeriellen Raumbedarfsliste gediehen, soll aber weiterhin als „nichtstaatliche Institution“ ausgegeben werden.

Goßmanns interne Papiere („Nur für den Dienstgebrauch“) realisieren eine Übereinkunft zweier christdemokratischer Innenminister (Wolfgang Schäuble, Rudolf Seiters) mit der sozialdemokratischen Führung (Björn Engholm). Die stillschweigenden Koalitionäre sind seit 1992 im Begriff, das traditionelle Einfallstor großdeutscher Hegemonialpolitik in fast sämtlichen Staaten Europas aufzustoßen und nehmen sich deswegen verstärkt der Minderheiten im Ausland an. Der Zufall will es, daß unter diesen Bevölkerungsgruppen das „Deutschtum“ am zahlreichsten ist (so etwa in Polen) oder aber anderen Minoritäten zur Seite gestellt werden kann, um mit gemeinsamen Forderungen nach „Territorialautonomie“ die europäischen Nationalstaaten aufzubrechen. Nach dem Vorbild der 20er und 30er Jahre, als das Auswärtige Amt „die Minderheitenfrage ... zur außenpolitischen propagandistischen Ausnutzung“ bereithielt, sollen Minderheitenansprüche wie „ein von allen politischen Erwägungen und Bedenken vollkommen unabhängiges Naturrecht“ erscheinen (KONKRET 2/95). Im Kontinuum dieser großdeutschen Europapolitik möchte die Abteilung Vt III 5 des Bonner Innenministeriums der „minderheitenrechtlichen Diskussion“ (BMI) auf die Sprünge helfen. Den Planern des „Europäischen Zentrums“ „fehlt eine gezielte Konfliktforschung der Problematik Mehrheitsvölker und nationale Minderheiten“, um „die Einzelbereiche nationaler Minderheiten und Volksgruppen oder, bezogen auf einzelne Regionen, Strukturen der Minderheiten und ihrer Lebenssituation zu untersuchen“. „Das EZM muß deshalb diesen Fragen eine neue Dimension verleihen“ und werde „umgehend benötigt“.

Bei den bevorstehenden „Untersuchungen“ für eine „neue Dimension“ gezielter Konfliktforschung jenseits der deutschen Grenzen baut das Innenministerium auf einschlägige Strukturen. „In die Zusammenarbeit ... einbezogen werden“ soll „insbesondere die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen (FUEV)“, verfügt das BMI. Gemeint ist eine NS-Nachfolgeorganisation mit Sitz in Flensburg, die bis heute den Wert nationalsozialistischer Minderheitenarbeit rühmt und in ihren Schriften („Europa Ethnica“) mehrmals antisemitische „Volksgruppenführer“ ehrte. Sie behauptet, 80 Organisationen zu vertreten (u.a. in Großbritannien und Frankreich), denen etwa 100 Millionen Mitglieder angehören sollen. Vor der FUEV hatte zu Beginn der 60er Jahre sogar das Auswärtige Amt gewarnt. Unter Referatsnummer 606-80.06 schrieb damals Ministerialdirektor Sattler („Vertraulich“), die Spezialität der FUEV sei es, „künstlich Minderheitenprobleme dort zu erzeugen, wo sie bisher noch nicht vorhanden waren. ... So wird heute auf den Tagungen der FUEV von Minderheiten wie ... der rätoromanischen in der Schweiz, der französischen im Aosta-Tal, der bretonischen in Frankreich, der Friulaner in Italien gesprochen. Die künstliche Erweckung von Minderheitengefühlen ist geeignet, Unruhe zu stiften.“ Eben diese FUEV, vom Auswärtigen Amt 1961 als eine Organisation von Provokateuren eingestuft, stellt im vergrößerten Deutschland der neunziger Jahre den eigentlichen Bezugspunkt grenzüberschreitender „Volkstumspolitik“ dar. Am „Sitz der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV), des Zusammenschlusses der nationalen Minderheiten und Volksgruppen in Europa“, solle auch das neue Zentrum angesiedelt werden, heißt es in den Planungen unter Oberaufsicht von Staatssekretär Walter Priesnitz (BMI). „Dem EZM würde der Kontakt zu den einzelnen Volksgruppen dadurch erleichtert.“

Der in Aussicht genommene Standort „im deutsch-dänischen Grenzland ... (u.a. Tondern/Leck, Apenrade/Flensburg, Husum)“ macht Sinn. Zum einen wegen der politischen Zielprojektionen: „Vom deutsch-dänischen Grenzland aus lassen sich auch Veranstaltungen in den Minderheitengebieten Osteuropas gut organisieren.“ Zum anderen, schreibt das BMI vertraulich, ist dort „die deutsche Volksgruppe in Nordschleswig“ (Dänemark) zu Hause und kann Funktionen als „Teil eines Netzwerkes ausüben“, das Organisationen in ganz „Europa umfaßt, die sich mit Minderheitenfragen beschäftigen“.

In der Tat beherrscht die Netzwerktätigkeit der „deutschen Volksgruppe in Nordschleswig“ fast sämtliche Vorfeldorganisationen der verdeckten Bonner Außenpolitik. Bereits in den 50er Jahren bediente sich das „Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen“ bekannter NS-Kollaborateure aus Nordschleswig und setzte die Politik einer massiven Finanzierung dieser „Grenzgebiete“ („Referat I 5“) bis zur deutschen Vereinigung fort. Inzwischen wird die „deutsche Volksgruppe“ mit Millionensummen vom BMI gesteuert und ihr Führungspersonal für Schaltstellenarbeit eingesetzt.

Im „Verein für das Deutschtum im Ausland“ (VDA), der auf eine lange Geschichte internationaler Subversionsarbeit blicken kann, stellt „die deutsche Volksgruppe“ den Vorsitzenden des Verwaltungsrates (Peter Iver Johannsen). „Die deutsche Volksgruppe in Nordschleswig“ ist gleichermaßen an führenden Stellen der „Hermann-Niermann-Stiftung“ (Düsseldorf) tätig. Die Beziehungen dieser millionenschweren Stiftung zum europäischen Rechtsterrorismus sind aktenkundig. Selbstverständlich ist „die deutsche Volksgruppe“ auch in der NS-Nachfolgeorganisation FUEV präsent (Generalsekretär: Armin Nickelsen). Daß die Multifunktionäre aus Flensburg und Apenrade nunmehr bei der Gründung des „Europäischen Zentrums für Minderheitenfragen“ herangezogen werden (so in Gestalt von Siegfried Matlok, Chefredakteur des „Nordschleswiger“), soll beispielhaft wirken. Durch Einbeziehung der „nationalen Minderheiten ... in die zwischenstaatliche Diskussion des Minderheitenschutzes“ (BMI) ließe sich das vertriebene „Deutschtum“ zum Verhandlungspartner bei Revisionsforderungen gegen die Regierungen Osteuropas machen - eine Zumutung, die selbst im germanophilen Prag abgelehnt wird.

Bei ihrem Fummeln am Völkerrecht können die deutschen Planungsstäbe auf europäische Helfer bauen. Weil die friedlichen Absichten des altruistischen „Deutschtums“ nicht in Frage zu stehen scheinen, ist man in Dänemark „grundsätzlich bereit, ein EZM finanziell zu fördern, wobei sich die Förderung sowohl auf institutionelle Mittel als auch auf Projektmittel beziehen könnte“ (Protokoll BMI). Mit den unverdächtigen Partnern im Kopenhagener Außenministerium „soll (die EG) auf indirektem Wege ... angesprochen werden“.

Nicht anders als in der dänischen Hauptstadt trifft auch der Vorstoß bei der EG auf Ahnungslose, die das verstärkte deutsche Bemühen um Schutzmachtansprüche gegenüber den europäischen Minderheiten sorglos begleiten. Wie das BMI vermeldet, knüpft man in Brüssel willig an jenem Kälberstrick, an dem die Souveränität der benachbarten Nationalstaaten ins Schlachthaus geführt werden wird: „Recherchen ... bei EG-Politikern ergaben nunmehr, daß grundsätzlich Bereitschaft besteht, Haushaltsmittel für das grenzüberschreitende Projekt eines EZM zu veranschlagen.“